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Wackeltopf – Was ist? Teil #3

In “Wackeltopf – Was ist? Teil #2” wurde die bislang formulierte These mit bestimmten Randbedinungen ergänzt, damit in einem weiterführenden Vergleich mit Berechnungsmodellen und tabellarischen, theoretischen Werten, das beobachtete Wackelphänomen gezielter identifiziert werden kann.

Zur Erinnerung die vorliegende These:

Schwappen des Kochwassers aufgrund innerer, thermodynamischer Effekte, unterstützt durch thermisch bedingte Änderungen des Scheitelpunktes an der Topf-Standfläche.
Der Kochtopf wackelt mit der Eigenfrequenz des schwappenden Kochwassers.


Die verwendeten Randbedingungen:

  • Ebene, “planare” Oberflächen: Wenn der Topf mit seiner Flüssigkeit wackelt, soll die Oberfläche des Kochwassers “schön flach” bleiben und nicht derart überschwappen, dass es klatscht und platscht.
  • “Linearisierte Vorgänge”, das oben angemerkte dabei ansprechend.
  • Kleine “Störungen” oder Topf- bzw. Flüssigkeitsauslenkungen – Damit bleiben wir im linearen Bereich.
  • Ein nahezu reibungfreies Inneres der Flüssigkeit (vgl. später unter “Viskosität”, Reibung zwischen Flüssigkeits-Phasen, etc.)
  • Nicht komprimierbare Flüssigkeit (Wasser kommt da schon recht gut hin ..)
  • Kapillareffekte oder Abhängigkeiten in puncto Oberflächenspannung werden – zunächst – vernachlässigt.

 

Gut. Wie geht es weiter? Es wird kurz ein bisschen langwierig.

Die Theorie zur Berechnung von schwappenden Flüssigkeiten nimmt bestimmte Grundformen von Versuchsbehältern an.
Da wären Zylinder, Zylinder mit verschiedener innerer Fächerung, quaderförmige Behälter, kugelförmige Behälter, röhrenförmige Behälter, und so weiter.
Zylindrische und rechteckige Behälter stellen z.B. Experimentiermodelle dar, bei denen explizite Lösungen möglich sind.

So ein Glück, denkt man, dass wir mit unserem Spaghetti-Kochtopf einen Zylinder vor uns haben!

 

Damit wird’s es aber noch nicht “easy peasy, lemon squeezy”, was das Rechenmodell für sich angeht.
Langsam tendiere ich doch, dieses Vorhaben einer Analyse “abzukürzen”, da nicht nur für mich sehr viel zu Erklärendes in dieser Sache vorliegt.

Stichwort: Grenzwertproblem. Solcherart findet in seiner Lösung für Modalanalyse seinen Niederschlag, als auch für dynamische “Antworten” auf Störungen von außen.
Die Modalanalyse von Flüssigkeits-Bewegungen mit “freien” Oberflächen, in teilweise gefüllten Behältern, bringt eine Annäherung an die natürlichen Frequenzen (Eigenfrequenzen) und die zugehörigen Modalformen (Moden).

Die Literatur weist darauf hin, dass speziell das Wissen um diese Eigenfrequenzen besonders essentiell in der Planung von Flüssigkeitstanks oder aktiver (Aus-)Steuerungseinrichtungen in Raumfahrzeugen ist.
Die logische Konsequenz daraus wäre, dass dieses Wissen auch für unser Spaghettikochen ganz essentiell sei.

Der Grundstoff zur Behandung von Fragen zum Wackeltopf bzw. seines Schwapp-Wassers liegt im Hamiltonschen Prinzip, als ein sehr wirksames Werkzeug für die Entwicklung von Flüssigkeits-Feldgleichungen.
Toll was es alles gibt.
Eine große Anzahl an Forschern hat dieses Prinzip weiterverwendet und für unterschiedliche Anwendungen weiter entwickelt. Man gewinnt den Eindruck, dass hier der Phantasie kaum Grenzen geboten wurden, die Vielfalt an Variationen ist sehr groß, sowohl experimentell, als auch in der theoretischen Abhandlung.

Poisson hätte angeblich bereits 1828 eine Modalanalyse für zylindrische Gefäße versucht, deren Ergebnisse aber erst mit Hilfe der Bessel’schen Funktionen interpretiert werden konnten. Untersuchungen in diesem Bereich wurden aber jahrelang fortgesetzt und sind nach wie vor – wenn auch für fortgeschrittenere Aufgabenstellungen – Forschungsgegenstand.
Berechnungen für kugelförmige Behälter sind äußerst komplex und wurden z.B. in den 1960er-Jahren behandelt. Im Vergleich dazu konnte ca. 1997 für die Ermittlung von Flüssigkeits-Eigenfrequenzen in liegenden Zylindern eine Matrizenberechnung für eine numerische Berechnung entwickelt werden (vgl. Barnyak, 1997).

Das Einbringen von beweglichen oder starren Körpern, oder Wänden in Tanks, oder Einsetzen von innenliegenden Rohren zur Fluss-Dämpfung konnte ebenso mathematisch zum Ausdruck gebracht werden.
In den 1980er Jahren wurde unter anderem auch mit unterschiedlichen Viskositäten experimentiert, wobei höhere Viskosität etwas höhere Resonanzfrequenzen im Vergleich zu einer “idealen Flüssigkeit” zur Folge hatte.

Zurück zu unserer Aufgabe, einen Einstieg in das Berechnungsmodell zu finden.

Die Auseinandersetzung beginnt mit der Entwicklung der Feldgleichungen für Flüssigkeiten, in Bezug auf ein bestimmtes Inertialsystem und unter Berücksichtigung eines sich bewegenden Koordinatensystems.
Abgesehen vom “Grenzwertproblem” scheint die Darstellung der Modalanalyse wichtig, besonders hinsichtlich der (natürlichen) Eigenfrequenzen von Flüssigkeiten mit “freien” Oberflächen.

Feldgleichungen für Flüssigkeiten

 

Die Abbildung oben zeigt die Lage der Koordinatensysteme bzw. Inertialsysteme, die gleichsam einen Punkt der Flüssigkeitsoberfläche in sich aufnehmen.
Man erkennt das sich bewegende Koordinatensystem in Relation zu einem statischen Koordinatensystem O’X’Y’Z’. Der beobachtete “Punkt” darf sich obendrein auch noch um ein gutes Stück bewegen.

Es gilt die Euler’sche Gleichung für Bewegungen von Flüssigkeiten in Vektorform:

q ist die Flüssigkeitsgeschwindigkeit, dq/dt die lokale Beschleunigung die von eimem “fixen” Beobachter wahrgenommen wird, bezeichnet die Konvektionsbeschleunigung für ein Flüssigkeitspartikel mit der Geschwindigkeit q in Fließrichtung – ein Beobachter, der sich mit dem Partikel mitbewegt sieht diese Beschleunigung.

P entspricht dem Flüssigkeitsdruck, ρ sei die Flüssigkeitsdichte, gZ’ das Gravitationspotential und ∇ (“nabla”) als (vektorieller Differential-) Operator im Koordinatensystem.

Unter der Annahme einer weitgehend rotationsfreien Flüssigkeitssituation und durch Überspringen etlicher, mathematischer Teilbedingungen und Teilergebnissen die sich daraus ergeben, erhält man final die Formulierung eines Grenzwertproblems.
Die Formulierung eines Grenzwertproblems im Sinne einer Funktion des “Störungspotentials” kann wie folgt zusammengefasst werden:

Ui, das sieht aus .. !
Der Hinweis, dass dies die Formulierung des Grenzwertproblems für  – ja genau – zylindirische Behälter sei, ist fast schon überflüssig (im wahrsten Sinn des Wortes). Aber es ist so und vielleicht wird man später etwas schlauer daraus.
Sorry für die eklatante Verkürzung einer Herleitung! Auf die Erklärung der einzelnen Variablen bzw. Ausdrücke wird vorab verzichtet. Das müsste bitte nachgelesen werden : )

Eine weitere Betrachtung geht eventuell schon näher in die Richtung einer Suche nach Eigenfrequenzen und wird als “Variationale Fomulierung” bezeichnet.

Beim variationalen Ansatz sucht man verkürzt ausgedrückt eine Funktion, die das “Systemverhalten” beschreibt.
Ja, so etwas wünsche ich mir schon lange! Ob so etwas lesbar möglich ist?

Es folgt in der Literatur ein Staccato an Bestimmungen, darunter auch das Hamilton-Prinzip (siehe Gleichung unten), inklusive Lagrandbedingung bei der T für die kinetische und V für die potentielle Energie steht,

Es folgen Namen und Begriffe aus dem Gebiet der KM (KM = “komplizierte Mathematik”, das kennen wir doch).
Es werden Green’s Formel, oder der Neumann Operator H angewendet, die Rayleigh-Ritz-Methode ins Spiel gebracht und so weiter.

Eine angebliche Vereinfachung von Ausdrücken wie diesen   

wird durch das Linearisieren von Flüssigkeits-Feldgleichungen für kleine Auslenkungen möglich.
Die “linearisierte Grenzwert-Bedingung für freie Oberflächen” wirkt wie ein Zauber

und über ein paar Randbedingungen und Einsetzen in bisherige Gleichungen, erscheint früher oder später der Ausdruck für die zu erwartenden, natürlichen (Eigen-)Frequenzen!

Es wird festgestellt, dass Oberflächenspannungen der untersuchten Flüssigkeit, die Eigenfrequenzen der verwendeten Flüssigkeit erhöhen können.

Eh klar!

McIver fasste – unter anderem zum Teil auf oben Erwähntem aufbauend – nach seinen Analysen und Methoden (1989) in einer Tabelle Werte zusammen, die überblicksweise wiedergeben, was an Eigenfrequenzen zu erwarten ist, je nach Höhen-/Radius-Verhältnis des verwendeten Zylinders.

Unser Hütten-Wackeltopf besitzt mit einer Höhe h von ca. 30cm und einem Radius R von ca. 15 cm ein h/R-Verhältnis von 2.

Für diesen Faktor “2” fand McIver in der theoretischen Analyse einen Wert für die (natürliche) Eigenfrequenz der schwappenden Flüssigkeit, also ca. 3,45 Hz.

Das ist schon beeindruckend.

Man erinnere sich an das Wackeln unseres Topfes: Da ging es takatakatakataka usw., oder aber auch dockockockockockock .. und so weiter, mit etwa dieser Frequenz, ca. 3 Hz!

Aller komplizierten Mathematik zum Trotz – es wäre ja toll, wenn man das alles im Detail erklären könnte – hilft also eine Wertetabelle weiter.
Das lässt mich kurz aufatmen.

Ich bin überwältigt von der Tiefe und Vielfalt an Berechnungsmodellen für eine Vielzahl an (un-)erdenklichen und praktischen Anwendungsfällen von Tanks.
Unglaublich, was es hierzu alles in diverser Literatur zu finden gibt.
Ich bin fast schockiert, darüber, warum ich das Kapitel des Wackeltopfes überhaupt aufgeschlagen hatte.
Es musste einfach sein und demütig sitze ich jetzt vor Ergebnissen jahrzehntelanger Forschung glückvoller und schlauer Persönlichkeiten.

Wer hätte angenommen, dass es mathematische Berechnungsmodelle für Schwappvorgänge in kegelflörmigen, oder solenoidförmigen, selbst schwankenden Behältern etc. gibt, in allen Schaukelvarianten.
Beeindruckend, gigantisch.
Ich schließe daraus eine gewisse “Existenzberechtigung” für solche Überlegungen und ich versuche, mich darüber nicht zu wundern.

Sogar magnetische Flüssigkeiten werden behandelt, oder solche die aus innerer Ursache heraus selbständig zu schwappen beginnen, wie z.B. in Reaktor-Behältern.

Angesichts überwallender Mathematik und physikalischer Vorgänge möchte ich mich bescheiden geben und die bisherigen Feststellungen in einen Kontext bringen, der für Blogs wie diese wieder Sinn macht!

Die festgestellte Schwappfrequenz des Raschberg-Spaghetti-Kochtopfs entspricht somit sehr gut des ersten “Modes”, also der Grund(eigen-)frequenz, schwappender Flüssigkeiten in zylindrischen Gefäßen.

Man kennt den Rückkopplungseffekt, bei dem die Rückkopplungsfrequenz der Resonanzfrequenz des Systems bzw. eines eingekoppelten Resonanzkörpers entspricht (vlg. z.B. elektrischer oder mechanischer “Schwingkreis”).
Der Spaghetti-Kopftopf hätte durch das Kochwasser demnach auch so etwas wie einen “Frequenz-Filter”. Er filtert durch die Kochwasser-Säule Frequenzbereiche mechanischer Einwirkungen auf diesen Topf.

So verbleibt für uns “nur mehr”, das Auffinden des ursächlichen Impulses, der den Schaukel-Topf antreibt und ein halbwegs erklärbares Rückkopplungsprinzip.

 

Wie der gebogene Topf-Blechboden dazu beiträgt, samt Schwerkraft das eigentliche Wackeln herbeizuführen, soll dann im abschließenden Beitrag “Wackeltopf Teil #4” untersucht werden.

Danke für die bisherige Geduld und Nachsicht für unvollständig dokumentierte Gedankenzüge!  : )

Bis dann, lG Jo

Literatur

Bilder

Modell Koordinatensysteme – Ibrahim, Raouf A., 2005, Liquid Sloshing Dynamics, Theorie and Applications

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